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Politics of Being Heard

mit
Katrin Bittl
Seo Hye Lee
Anika Krbetschek
& Zorka Lednárová

Grafik: Nora Keilig

Ausstellung

22.8. – 2.11.2025

Kuratiert von
Janine Pauleck

Die Ausstellung »Politics of Being Heard« ist der dritte Teil des Jahresprogramms HANDLE (with) CARE.

Veranstaltungen

21.8.2025, ab 19 Uhr
Eröffnung

5.9.2025, 18 Uhr
Hör- und Tastführung mit Sebastian Schulze & Katrina Blach

18.10.2025
Tagesprogramm im Rahmen der KGB-Aktionstage

Eröffnung

Donnerstag, 21.8.2025
ab 19 Uhr

Eintritt frei

Der Bärenzwinger Berlin lädt herzlich zur Eröffnung der Gruppenausstellung »Politics of Being Heard« am 21. August 2025 ab 19 Uhr ein.
Als dritte Ausstellung im Jahresprogramm HANDLE [with] CARE widmet sie sich Fragen nach Inklusion, Barrierefreiheit und institutioneller Verantwortung.

Die künstlerischen Positionen von Katrin Bittl, Seo Hye Lee, Anika Krbetschek und Zorka Lednárová setzen sich in unterschiedlichen Medien mit Barrieren, Teilhabe und Formen von Care auseinander. Katrin Bittl arbeitet in Videoperformances mit Selbstinszenierung und Assistenzsituationen, um Körpernormen, Zugänglichkeit und gesellschaftliche Hierarchien zu hinterfragen. Seo Hye Lee verbindet in textilen Arbeiten und Videoarbeiten persönliche Erfahrungen mit Hörverlust mit Fragen nach Zugänglichkeit, Sprache und geteiltem Verstehen.

Anika Krbetschek entwickelt in ihrer multisensorischen Rauminstallation sowie in der Außenarbeit eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Fürsorge, psychiatrischer Gewalt und der Geschichte des Bärenzwingers, die Sound, Video, Geruch und Materialität verbindet. Zorka Lednárová übersetzt in einer Skulptur und dokumentarischen Fotografien persönliche Erfahrungen mit alltäglichen Barrieren in räumliche und körperliche Einschränkungen für das Publikum, um Perspektivwechsel und unmittelbare Konfrontation zu erzeugen.

Begleitet wird die Ausstellung von einem Rahmenprogramm, das inklusive Vermittlungsformate und künstlerische Beiträge verbindet. Geplant sind unter anderem eine Hör- und Tastführung, Textfassungen in einfacher Sprache sowie ein performatives Programm. Weitere Programmpunkte werden im Laufe der Ausstellung bekannt gegeben.

Kuratorischer Text

Was bedeutet es, gehört zu werden – in Institutionen, im Alltag, in künstlerischen Räumen? Und was bedeutet es für Institutionen, zuzuhören?

Heute ist der Bärenzwinger denkmalgeschützt und wird als kommunale Galerie für zeitgenössische Kunst genutzt – mit dem Anspruch, „für alle“ zugänglich zu sein. Dieser Anspruch knüpft an das Selbstverständnis der Kommunalen Galerien Berlins an, Räume kultureller Teilhabe für ein diverses Publikum zu schaffen. Doch was bedeutet Zugänglichkeit an einem Ort, dem Ausschlüsse architektonisch und historisch eingeschrieben sind? Barrieren zeigen sich nicht nur in baulichen Gegebenheiten, sondern auch in institutionellen Routinen, in Erwartungen an Verhalten, in unausgesprochenen Normen. Wer wird in die Gestaltung von Räumen und Inhalten einbezogen – und wessen Perspektiven werden überhaupt mitgedacht? Was bedeutet es, an einem solchen Ort über Inklusion, Care und Verantwortung zu sprechen?

Der Bärenzwinger ist ein widersprüchlicher Ort: 1939 unter nationalsozialistischer Herrschaft als Schaustätte für Bären errichtet, diente er der Repräsentation einer Ideologie, die Leben nach vermeintlichem Wert selektierte. Seine Architektur inszenierte eine als „artgerecht“ gedachte Ordnung – ein Begriff, der auch in der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik wirksam wurde. In diesem Kontext wurden Menschen mit Behinderung systematisch entrechtet, zwangssterilisiert und ermordet. Die sogenannte „Aktion T4“ markierte den Beginn der industriellen Tötung durch das NS-Regime: Über 200.000 Menschen wurden bis 1945 in Gaskammern, durch Nahrungsentzug, Injektionen oder medizinische Experimente ermordet. Der ableistische Blick richtete sich gegen Körper, Verhalten, Wahrnehmung und geistige Verfassung – und definierte, wer als lebenswert galt. Ein Denken, das bis heute in gesellschaftlichen Strukturen wirkt.

Die Ausstellung verhandelt diesen Widerspruch als Ausgangspunkt für eine kritische Auseinandersetzung mit institutioneller Verantwortung. Inklusion und Barrierefreiheit werden nicht als Zusatz behandelt, sondern als strukturelle Voraussetzung für Teilhabe. Ausgehend vom Social Model of Disability (Michael Oliver) begreift die Ausstellung Behinderung nicht als individuelles Defizit, sondern als Ergebnis gesellschaftlicher Ausschlüsse. Sie fragt, wessen Wahrnehmungsweisen und Bedürfnisse in künstlerischen und institutionellen Kontexten mitgedacht – und wessen übersehen werden. Care wird dabei als Praxis des Zuhörens verstanden – eine Praxis, die Zeit, Ressourcen und strukturelle Verankerung braucht.

Die gezeigten Arbeiten thematisieren unterschiedliche Formen von Barrieren: physische, kommunikative, strukturelle. Der Bärenzwinger selbst bleibt dabei Teil der Auseinandersetzung. Ein Käfig ist bewusst für niemanden zugänglich, während ein anderer nur für manche zugänglich ist. Diese Entscheidung ist keine Lösung – sondern Ausdruck einer realen Einschränkung, die als solche thematisiert wird. Sie verweist auf eine strukturelle Problematik: dass barrierefreie Zugänge – gerade in denkmalgeschützten Gebäuden – nach wie vor nicht gewährleistet sind. Ein denkmalgeschützter Ort soll bewahrt werden – doch für wen, wenn er nicht für alle zugänglich ist? Die Ausstellung will diese Barrieren nicht normalisieren, sondern zur Diskussion stellen: Was passiert, wenn eine Arbeit nicht betreten, nicht gesehen oder nicht gehört werden kann? Welche Verantwortung hat eine Institution, mit diesen Realitäten umzugehen – sie offenzulegen, transparent zu machen und alternative Formen der Zugänglichkeit zu schaffen, wo Barrierefreiheit (noch) nicht umsetzbar ist? Zugleich bleibt die Frage bestehen: Warum ist sie es (noch) nicht?

Die Ausstellung versteht sich als offener Prozess, der Ambivalenzen sichtbar macht, ohne sie aufzulösen. Sie thematisiert strukturelle Ausschlüsse – auch innerhalb der eigenen Praxis – und richtet den Blick auf Machtverhältnisse im Kunstsystem. Wer wird ausgestellt – und unter welchen Bedingungen? Welche Stimmen fehlen – und warum? Wie kann Verantwortung geteilt werden, anstatt delegiert zu bleiben?

Denn es geht um mehr als Barrierefreiheit. Es geht um Sichtbarkeit, Teilhabe und die Frage, wie Räume gestaltet sein müssen, damit sich mehr Menschen gehört fühlen – nicht als Ausnahme, sondern als selbstverständlicher Teil kultureller Öffentlichkeit. Zugänglichkeit betrifft dabei nicht nur das Publikum, sondern ebenso die Frage, wer überhaupt die Möglichkeit hat, Kunst zu produzieren und auszustellen.

Institutionen stehen nicht außerhalb der politischen Realität. Sie bewegen sich innerhalb eines kulturpolitischen Rahmens, der ihre Handlungsmöglichkeiten mitbestimmt. Wenn Fördermittel für Inklusion und Teilhabe gekürzt werden, geraten gerade die Vorhaben unter Druck, die langfristige Strukturen aufbauen wollen. Und doch zeigt sich gerade dann, wie wichtig Orte sind, an denen Vielfalt gelebt und mitgedacht wird – in Inhalten, im Zugang, in den Strukturen.

Die Ausstellung versteht sich als Schritt in einem längerfristigen Prozess, der auf strukturelle Teilhabe und Inklusion zielt – ohne vorzugeben, diese bereits vollständig umzusetzen. Sie macht sichtbar, was (noch) fehlt, fragt nach dem, was möglich wäre – und danach, was es braucht, um dorthin zu kommen. Gehört zu werden bedeutet nicht nur, sprechen zu dürfen – sondern auch, in den eigenen Bedürfnissen, Perspektiven und dem Anspruch auf Teilhabe ernst genommen zu werden. Und es bedeutet: Raum zu lassen für das, was unbequem, ungehört oder noch nicht gedacht ist. Diese Ausstellung öffnet einen solchen Raum – nicht als Antwort, sondern als Teil einer kollektiven Suchbewegung.

Katrin Bittl

Katrin Bittl (*1994 in München) ist bildende Künstlerin, freie Autorin und Peer Beraterin für Künstler*innen, in München. Bis 2023 studierte sie Freie Kunst an der Akademie der Bildenden Künste München. Eine zentrale Auseinandersetzung ihrer künstlerischen Arbeit stellt die Dekonstruktion von Körper- und Handlungsnormen da. Insbesondere die Körperwahrnehmung von Frauen mit Behinderungen untersucht sie mittels Selbstportraits und Videoperformances.

Den Fokus legt sie dabei auf eine möglichst direkte Sichtbarmachung, aber dennoch unaufdringliche Konfrontation mit diversen Körpern. Mit der Verortung ihres eigenen Körpers in der Pflanzenwelt wirft sie Fragen über „Care Arbeit“, den Fürsorgebegriff und gesellschaftliche Leistungsideale auf.

Ihre Arbeiten wurden in nationalen und internationalen Solo- und Gruppenausstellungen gezeigt, u. a. in der Galerie Bezirk Oberbayern, München (2023); DG Kunstraum, München (2024); HAU Hebbel am Ufer, Berlin (2022); Vivo, Vancouver (2023) und Platform, München (2022). Ihre künstlerische Praxis wurde u. a. durch das Stipendium für Bildende Kunst der Landeshauptstadt München (2024), den Preis des Akademievereins (2023) sowie eine #takeHeart-Residenz im Rahmen von NEUSTART KULTUR (Hebbel am Ufer, Berlin, 2022) gefördert.

Seo Hye Lee

Seo Hye Lee ist eine gehörlose südkoreanische Künstlerin mit Wohnsitz in Großbritannien. 2017 schloss sie ihren Master in Visual Communication am Royal College of Art in London ab. Ausgehend von ihrer Erfahrung mit Hörverlust und als Trägerin von Cochlea-Implantaten arbeitet sie mit Zeichnungen, bewegten Bildern und multisensorischen Installationen, um das komplexe Verhältnis von Klang und Stille zu erforschen. Ihre Praxis ist von einem Engagement für Zugänglichkeit und Zusammenarbeit geprägt und schöpft aus kollektiven wie persönlichen Begegnungen mit Klang.

Ihre Arbeiten wurden in nationalen und internationalen Ausstellungen gezeigt, u. a. im V&A Museum, London (2025–26); Kunsthalle Bremen (2025); Tate Exchange, London (2019); MIMA – Middlesbrough Institute of Modern Art (2024–25); Science Gallery London (2023–24); Royal College of Art, London (2017); Blackwood Gallery, Mississauga (2025); Chapter Arts Centre, Cardiff (2023); Tangled Art + Disability, Toronto (2024); CCA Glasgow (2022) und Nottingham Contemporary (2022).

Außerdem nahm sie an Festivals teil, darunter die Selected 12 UK Tour (2022) – u. a. CCA Glasgow, Fabrica Gallery, Nottingham Contemporary, John Hansard Gallery – sowie Presents 2023 in Kanada und Deutschland. Ihre Forschung und Projekte wurden u. a. durch die Vital Capacities Residency (2021) und das DYCP-Programm des Arts Council England (2020) gefördert.

Anika Krbetschek

Anika Krbetschek (*1997 in Berlin) ist eine frühlingsgeborene Künstlerin, Kuratorin und Autorin aus Berlin. In postdisziplinären Recherchen rückt sie das, was an den Rändern von Psyche, Trauma und Erinnerung geschieht, ins Verhältnis zu Systemen, kollektiven Gedächtnissen und Neurophysiologie. Dort, wo sich Politik und Geschichte in Körpern und Stimmen niederschlägt und psychologisches Wissen eine Geschichte hat, entwickelt sie eine Praxis, die zuhört, erfährt und verdichtet.

Ihre Projekte, die Teilhabe und Erfahrungsexpertisen zentrieren, schaffen künstlerische Formate, in denen widerständige Gedächtnisse und innere Wirklichkeiten Teil eines inklusorischen Diskurses werden können. Ihre Arbeiten wurden in nationalen und internationalen Solo- und Gruppenausstellungen gezeigt, darunter Petersburg Art Space Gallery, Berlin (2024); Living Room Studio, Yerevan (2025); Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (2024); Goethe-Institut, Yerevan (2024) und KunstHaus Potsdam (2023).

Außerdem nahm sie an diversen Festivals teil, u. a. Reeperbahn Festival, Hamburg (2023); 48h Neukölln Arts Festival, Berlin (mehrfach seit 2020) sowie Grenzen sind relativ Festival, Hamburg (2023). Ihre künstlerische Arbeit wurde u. a. durch die Kulturstiftung des Bundes (2025), den Kulturfonds Culture Moves Europe (2025) und die Bundeszentrale für politische Bildung (2023) gefördert.

Zorka Lednárová

Zorka Lednárová (*1976 in Bratislava/Slowakei  ist eine zwischen Bratislava und Berlin lebende Künstlerin und Kuratorin. Sie studierte Bildhauerei, Freie Kunst und Kalligraphie an der Kunsthochschule Bratislava, der Muthesius Hochschule für Kunst und Gestaltung in Kiel, an der Nationalen Kunstakademie in Hangzhou, China, sowie an der Universität der Künste Berlin. In raumgreifenden Installationen, Fotografien und Arbeiten im öffentlichen Raum erforscht sie Barrieren – physische wie soziale – und ihre Wirkung auf Teilhabe, Sichtbarkeit und Zugehörigkeit.

Ihre Arbeit nutzt biografische Erfahrungen und oft irritierende Eingriffe, um Perspektivwechsel zu ermöglichen, Machtverhältnisse zu hinterfragen und Teilhabe neu zu denken. Ihre Arbeiten wurden in nationalen und internationalen Solo- und Gruppenausstellungen gezeigt, u. a. im Kunsthaus Dresden (2025), OKK/Raum 29, Berlin (2025, 2021), Kunsthalle Bratislava (2024, 2023, 2019), Plato – Ostrava City Gallery (2023) und Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen (2025). Außerdem nahm sie an Festivals teil, u. a.), Biela Noc Bratislava (2023) und Ostrava Camera Eye (2023).

Sie erhielt zahlreiche Förderungen, u. a. von der Stadt Bratislava (2023), dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds (2023), der Senatsverwaltung für Kultur und Europa Berlin (2020) und Pro Helvetia (2020). Als Mitgründerin und langjährige Leiterin des Projektraums OKK/Raum 29 entwickelte sie Plattformen für internationalen Austausch und kollaborative Formate.