page.php

INTIMATE MATTER

Marlene Zoë Burz
Lisa Premke
David Reiber Otálora

[Foto] Marlene Burz

Eröffnung
08.08.2019 19 Uhr

Ausstellung
09.08. – 27.10.2019

17.08.2019 19 – 22 Uhr
80 Jahre Bärenzwinger

31.08. + 01.09.2019
Architecture and Art Weekend

06.09.2019 19 – 22 Uhr
Presentation by Hopscotch Reading Room

08.09.2019 11 – 19 Uhr
Tag des offenen Denkmals

06. + 12.10.2019 14 – 16 Uhr
eWalks mit Karl Heinz Jeron

23.10.2019 19 – 22 Uhr
TheorieMittwoch

Unsere gesamte Lebensrealität ist bestimmt durch eine Vielzahl an wirtschaftlichen, ökologischen, politischen, gesellschaftlichen und sozialen Strukturen. Durch die Gliederung dieser oft unumstößlich wirkenden Gegebenheiten und der uns umgebenden Objekte, konstruieren wir Deutungssysteme, die die komplexen Beziehungen, in denen wir leben, ordnen und begreiflich machen sollen. Dabei sind sie Orientierung und Sicherheit zugleich, ist doch der Rückgriff auf die uns vertrauten Denk- und Wahrnehmungsmuster immer auch ein Akt der Selbstvergewisserung.

Doch was geschieht, wenn uns diese Vertrautheit mit den uns umgebenden scheinbar alltäglichen Dingen plötzlich entgleitet, Semantiken sich verschieben, überlagern und neuordnen, wir an unseren gewohnten Deutungs- und Einordnungsmechanismen zu zweifeln beginnen?

Die Ausstellung „Intimate Matter“ mit den Künstler*innen Marlene Zoë Burz, Lisa Premke und David Reiber Otálora bewegt sich unbemerkt in Grenzgebiete der Wahrnehmung, schafft intime Momente der Irritation und versucht den feinen Übergang zwischen uns Bekanntem und Unbekanntem sichtbar zu machen. Die gezeigten Arbeiten spielen mit der Destabilisierung und Rekontextualisierung von Objekten und Materialien.

Die Wandel- und Verhandelbarkeit der von uns produzierten Deutungszusammenhänge wird erkennbar, wenn die Materie, die Objekte im Raum ihre angedachte Funktionsweise von sich streifen und eine neue und eigene Form von Wirklichkeit für sich geltend machen. Die vertrauten Beziehungen zwischen den einzelnen Gegenständen und ihren Betrachter*innen werden neu gedacht und in einen anderen Zusammenhang überführt. Lassen wir uns darauf ein, so birgt dies das Potential, das Verhältnis zu unserer Umgebung, die vermeintliche Sicherheit darüber, was wir zu wissen glauben, neu zu denken und zu sehen.

Kuration Ausstellung & Veranstaltungen

Ulrike Riebel und Nandita Vasanta

Jan Tappe und Hauke Zießler

Grafik: Viktor Schmidt

Übersetzung: Andrea Scrima
Produktion: Carolina Redondo
Produktionsassistenz: Felipe Monroy

Konzepttext zum Download

Marlene Zoë Burz

Marlene Zoë Burz, geboren 1990 in Stuttgart, studierte von 2010-2015 an der Kunsthochschule Berlin Weißensee bei Prof. Hanns Schimansky. 2016 war sie Meisterschülerin bei Prof. Friederike Feldmann. Seit 2016 organisiert und kuratiert sie zusammen mit Manuel Kirsch und Björn Streeck den Projektraum SOX auf der Oranienstraße 175 in Berlin. Ihre Arbeiten wurden u.a. in Toronto, Bregenz, Bern, Bonn und Berlin gezeigt. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Als geradezu fremdvertrautes Schriftbild muten die Formen an, die die Künstlerin Marlene Zoë Burz auf das den Hauptraum des Bärenzwingers umlaufende Banner gezeichnet hat. Doch so sehr wir auch versuchen, die Zeichen unseren Sehgewohnheiten entsprechend in eine uns bekannte Lesbarkeit zu überführen, bleibt diese uns doch weitestgehend verschlossen. Erst auf den zweiten Blick lassen sich die zufällig angeordneten Formen als schablonenhafte Abstraktionen von Knochen erahnen. Knochen sind fundamentaler Bestandteil jedes Wirbeltiers, jedes menschlichen Körpers und doch stets unter der Oberfläche verborgen – ein unsichtbarer, geradezu intimer Bereich, der erst durch massive Eingriffe in die körperliche Materie Sichtbarkeit erlangt. Und doch ist ihre Funktion selbst eine schützende, Struktur und Halt gebende. Rekontextualisiert wird diese Ambivalenz in den kapuzenförmigen Objekten im Raum, die auf geradezu surreale Weise in Interaktion mit der Formsprache der Zeichnung treten. Während die Knochen als Form auf Papier überführt werden, beruhen die plastischen Kapuzenobjekte auf zweidimensionalen Schnittmustern. Doch auch in den Kapuzen selbst, zunächst einmal alltägliche Kleidungsstücke, spiegelt sich das doppeldeutige Verhältnis von Form und Oberfläche, Innen und Außen. In ihrer Vergrößerung erwecken sie den Eindruck einer schützenden Verhüllung und werfen dabei doch zugleich zwangsläufig die Frage nach einem Inneren, einer verborgenen Körperlichkeit auf.

Lisa Premke

Lisa Premke, geboren 1981, studierte zuerst Architektur und anschließend Bildende Kunst an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam bevor sie ihren Master of Sound for the Moving Image an der Glasgow School of Art machte. In ihren Arbeiten sucht Premke nach Spuren kollektiver Systeme in Objekten und Materialien und gibt ihnen eine eigenständige Stimme und Narration. Für ihre ortspezifischen Projekte wurde sie wiederholt zu internationalen Aufenthaltsstipendien, wie der Bangalore Goethe Residency Kochi in Indien, der Košice Artist in Residence (Slowakei) und der Binaural Nodar in Portugal eingeladen. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen gezeigt, unter anderem in der Kochi Muziris Biennale Pepperhouse Residency in Indien, der Berliner galerie weisser elefant, im Studio 1 Künstlerhaus Bethanien in Berlin und im Arti et Amicitiae in Amsterdam. Als Sound- und Raumdesignerin arbeitet Lisa Premke seit Jahren in Kooperationen mit verschiedenen Künstlern, Filmemachern und Choreographen. 2019 ist die Künstlerin Preisträgerin des Neuköllner Kunstpreises sowie Stipendiatin des Kulturaustauschstipendiums Global des Berliner Senats.

Deutlich sicht- und hörbar hingegen erstreckt sich Lisa Premkes Soundinstallation als symmetrisch angeordnetes Muster über die rechte Außenterrasse des Bärenzwingers. Eine Vielzahl verschiedener Ketten spannt sich über den begrünten Bereich, die Bodenflächen entlang über das Wasserbecken. Die Ketten bewegen sich, angetrieben durch mehrere Motoren, in unregelmäßigen Rhythmen, erzeugen in der Berührung miteinander wie auch mit ihrem Untergrund und dem sie partiell umhüllenden Wasser unterschiedliche Klänge. Im Prozess des Spannens und Entspannens verändern die Ketten ihren Zustand, ihre Dynamik und werden zu bewegten Körpern. Dabei erzeugen die verschiedenen Materialitäten und Stärken der Ketten eine Pluralität an Stimmen, jeweils eigene Narrationen, die sich im Laufe der Zeit durch Reibung und Korrosion verändern. Die akustischen Unregelmäßigkeiten und Variationen im Klang vermitteln den Eindruck eines intentionalen, bewussten Agierens, der Fähigkeit eigenständig zu handeln. Fast scheint es, als wären die zu vernehmenden Klänge ein Akt der Selbstermächtigung, individuelle Stimmen die sich formieren, um den ihnen zugewiesenen Objektstatus ein für alle Mal abzulegen. Die Ketten treten mit ihrer Umgebung, den sie berührenden Materialien in Interaktion, sind aktiver Teil eines Wechselverhältnisses, in dem sie gleichermaßen verändert werden wie auch selbst die umliegende Substanz verändern.

David Reiber Otálora

David Reiber Otálora, geboren 1992 in Münster (Westfalen), wuchs in Kolumbien auf und studiert derzeitig bildende Kunst mit Schwerpunkt Film und Zeitbezogene Medien an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Dort schloß er im Juli 2016 seinen Bachelor ab und begann ab Oktober desselben Jahres sein Masterstudium in den Klassen von Robert Bramkamp, Matt Mullican und Angela Schanelec. In seinen Filmen und bildhauerischen Arbeiten (gelegentlich auch Bühnenbilder) beschäftigt sich David Reiber Otátora mit Exotismen und kolonialen Repräsentationen des Anderen und forscht nach Möglichkeiten, diese als Grundlage fantastischer und doppeldeutiger Narrationen zu affirmieren. Seine Arbeiten wurden bereits in unterschiedlichen nationalen und internationalen Institutionen, Ausstellungsräume und Festivals gezeigt (u.a. in Frankfurt, London, Paris, Bogota, Shanghai).

David Reiber Otáloras Installationen erinnern auf den ersten Blick an allgegenwärtige und gerade deshalb oft unbemerkte Elemente in fast jedem Innenraum. Die gefalteten metallenen Objekte sind mit schwarzen, schattenhaften Konturen von Heizkörpern bemalt und erweitern als vermeintlich alltägliche Wärmespender die Räume des Bärenzwingers. Doch werden dabei nicht nur unsere Sehgewohnheiten durch die Übersetzung dreidimensionaler Körper in eine Zweidimensionalität ad absurdum geführt. Auch die uns bekannten Funktionsweisen von Gegenständen werden verkehrt, produzieren die Arbeiten doch nicht selber Wärme, sondern werden vielmehr durch externe Licht- und Wärmequellen erhitzt. Zugleich scheint es fast, als erhielten die gezeichneten Umrisse durch ihre Wärmeempfindlichkeit eine fiktive Körperlichkeit zurück. Ihre punktuelle Erhitzung führt zu einer Veränderung der Oberfläche, lässt die Heizkörperkonturen unsichtbar werden. Zum Vorschein treten versteckte Zeichnungen, die an Höhlenmalereien erinnern. Wie in der Chauvet-Höhle, deren berühmte Höhlenmalereien aufgrund ihrer Lichtempfindlichkeit nur für wenige Sekunden durch den Strahl einer Taschenlampe visuell wahrnehmbar werden, ist auch hier die Sichtbarkeit eine temporäre, die sich mit der Abkühlung der Installation verflüchtigt.

80 Jahre Bärenzwinger

17.08.2019 19 – 22 Uhr
mit Julia Pomeranzewa und Christa Junge

Am 17. August 1939 öffnete der Bärenzwinger im Köllnischen Park seine Pforten, um den Berlinern das lebendige Wappentier ihrer Stadt zu präsentieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten im Zwinger seit 1949 über viele Jahre hinweg immer mindestens 2 Bären, bis 2015 die letzte Stadtbärin Schnute verstarb.

Seit September 2017 ist das ehemalige Bärengehege der Berliner Stadtbären als Kulturort für ortsspezifische zeitgenössische Kunst in Berlin-Mitte geöffnet und bietet den Besucher*innen neben dem wechselnden Ausstellungsprogramm auch ganz grundsätzlich die Möglichkeit, sich das ehemalige Domizil der Bären zu besichtigen.Zum Anlass des achtzigjährigen Jubiläums des Geheges veranstaltet der Bärenzwinger ein Abendprogramm, das die Geschichte, Gegenwart und Zukunft vorstellt und bespricht. Gemeinsam mit der Kulturwissenschaftlerin Julia Pomeranzewa und Christa Junge vom Verein Berliner Bärenfreunde e.V. gibt das Team des Bärenzwingers einen Einblick in die gegenwärtige Nutzung des Bärenzwingers, persönliche Perspektiven auf und Erinnerungen an die Bären und die Bedeutung des Zwingers innerhalb der Stadtgeschichte Berlin.

Hopscotch Reading Room

06.09.2019 19 – 22 Uhr Presentation by Hopscotch Reading Room

Die Veranstaltung findet in Englischer Sprache statt.

Hopscotch Reading Room, ein nicht-kommerzieller Buchladen, Lese- und Veranstaltungsort in Berlin ist für einen Abend zu Gast im Bärenzwinger. Wir freuen uns sehr auf diesen Abend mit unserem Gastgeber Siddhartha Lokanandi, Kodwo Eshun und Moses März.

An diesem Abend werden wir mit Kodwo Eshun sprechen, einem Schriftsteller und Denker, der seit langem in die Idee des »Panafrikanismus« – ebenfalls dem Thema seines nächsten Buches – vertieft ist, und sich in diesem Zusammenhang mit der wegweisenden Verlagsreihe »African Writers Series« beschäftigt. Diese Sammlung ist auch eine der Säulen, auf denen die Idee des »Hopscotch Reading Room« ruht. Nun, was ist dieses wundersame Ding, wie sieht es aus, was lehrt es uns?

Wir werden einen Teil unserer Sammlung dieser Bücher zeigen und mit Kodwo über diese Serie, ihre Herkunft, Wirkung und Reichweite, über das Publizieren in den neuen unabhängigen Nationen Afrikas und vieles mehr sprechen. Im Anschluss daran wird Moses März einige der von ihm für die neueste Ausgabe der »Chimurenga Chronic: Die afrikanische Vorstellung von einer grenzenlosen Welt« produzierten Karten vorstellen, zusammen mit den redaktionellen Debatten und dem Forschungsprozess, der sie geprägt hat. Er wird auch darüber sprechen, wie die Gründung von Mittel & Zweck, inspiriert von seiner Zusammenarbeit mit Chimurenga und dem Wunsch, einige seiner Methoden in einen deutschsprachigen Kontext zu übersetzen, erfolgte.

Auf diese Weise versuchen wir, einen Bogen aus den Ideen der »African Writers Series« zu ziehen und wie sie sich in der Gegenwart weiterentwickeln und manifestieren.

EWALKS

06. + 12.10.2019 14 – 16 Uhr
Experimentelle Audiotouren mit Karl Heinz Jeron

Als Teil der aktuellen Ausstellung »Intimate Matter« wird uns Karl Heinz Jeron auf einen eWalk mitnehmen, bei dem die städtische Umgebung des Bärenzwingers erkundet wird. Die eWalks beziehen sich auf das Konzept des Dérive und Détournement. Dérive oder ›streunen‹ bedeutet spazieren gehen und dabei den eigenen emotionalen und psychologischen Bahnen der städtischen Umgebung zu folgen, sich dabei jedoch nicht auf eine geplante Infrastruktur zu verlassen (z.B. den kürzesten Weg von der Arbeit nach Hause).

Ein Dérive zu verfolgen, verlangt »… to notice the way in which certain areas, streets, or buildings resonate with states of mind, inclinations, and desires, and to seek out reasons for movement other than those for which an environment was designed«, so Sadie Plant 1992.

Während des Stadtspaziergangs kombiniert ein Mikrocontroller die GPS-Lokalisierung mit der OpenStreetMap-Software und dem gemeinfreien e-Text Archiv des Gutenberg Projects, um die Audioquelle für eine mobile Radiosendung zu erstellen. Mithilfe von GPS-Koordinaten und der OpenStreetMap werden die Straßennamen ermittelt und bei Gutenberg.org als Suchbegriffe verwendet. Auszüge der Ergebnisse werden in Audio (Text-zu-Sprache-Software) umgewandelt und an die Radios der Teilnehmer*innen gesendet. Der Mikrocontroller führt alle Schritte automatisch aus. Für die Audiotour wird ein Magnetfelddetektor zur Orientierung verwendet.

Die eWalks sind in deutscher Sprache. Da die Teilnehmer*innenzahl begrenzt ist, bitten wir um Rückmeldung unter info@baerenzwinger.berlin.

THEORIE
MITTWOCH

23.10.2019, 19 – 22 Uhr

Unsere gesamte Lebensrealität ist bestimmt durch eine Vielzahl an wirtschaftlichen, ökologischen, politischen, gesellschaftlichen und sozialen Strukturen. Durch die Gliederung dieser oft unumstößlich wirkenden Gegebenheiten und der uns umgebenden Objekte, konstruieren wir Deutungssysteme, die die komplexen Beziehungen, in denen wir leben, ordnen und begreiflich machen sollen.

Während diese Systeme einerseits eine gewisse Form der Sicherheit geben, produzieren sie andererseits auch Momente der Ausgrenzung. Kunsträume reproduzieren, oft unbewusst, solche Strukturen des Ausschlusses, selbst wenn sie anstreben, diese zu hinterfragen oder ihnen entgegenzuwirken.

An diesem Mittwoch setzen wir uns mit den verschiedenen Ebenen dieser Ambivalenz auseinander. Welche Formen der Diskriminierung existieren in Kulturstandorten der Stadt Berlin und wie können kulturelle Orte sich öffnen, um diese Strukturen konkret zu ändern und nicht nur infrage zu stellen.

Clare Molloy, Assistenz Kuratorin im Gropius Bau, erforscht dies zusammen im Gespräch mit der Schriftsteller*in SchwarzRund und Erkan Affan, Aktivist* und Kurator*. Die Veranstaltung findet in englischer Sprache statt.