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If my neighbour is okay, I’m okay

mit
Edna Al-Najar
Belia Zanna Geetha Brückner
Ece Cangüden
und Elvis Osmanović

Grafik: Nora Keilig

Ausstellung

7.3.2025 – 4.5.2025

Kuratiert von
Alin Daghestani, Philipp Hennch und Dr. Maximilian Krämer

Die Ausstellung »If my neighbour is okay, I’m okay« ist der erste Teil des Jahresprogramms HANDLE (with) CARE.

Veranstaltung

6.3.2025, ab 18 Uhr
Eröffnung

16.3.2025, 14–16 Uhr
Workshop mit Belia Brückner
»turning societal problems into crimes«

25.3.2025, 18 Uhr
»Curating through Conflict with Care« zu Gast im Bärenzwinger

3.4.2025, 19 Uhr
Kurator*innenführung (in deutscher Sprache)

13.4.2025, 14–16 Uhr
Nachbarschaftstreffen »Kaffee, Kuchen und Rezepte«

26.4.2025 15-17 Uhr »The Tides of Far Spheres: A Lore-Making Performative Game« mit Aslı Dinç (in englischer und türkischer Sprache)
17:30 Uhr Artist Talk mit Ece Cangüden

4.5.2025, Finissage zum Gallery Weekend
14–15 Uhr Artist Talk mit Edna Al-Najar und Elvis Osmanović
15:30–17 Uhr »Sprechstunde der Ministerin für Mitgefühl«

Eröffnung

6.3.2025 ab 18 Uhr
Eröffnung

19 Uhr Begrüßung

19:30 Uhr DJ Set mit Hinna

Eintritt frei

Am Donnerstag, den 6. März 2025, lädt der Bärenzwinger um 18 Uhr herzlich zur Eröffnung der Ausstellung »If my neighbour is okay, I’m okay« ein. Um 19 Uhr findet ein Begrüßungswort statt und ab 19:30 Uhr gibt es ein DJ-Set von Hinna.

Die Ausstellung wird von einem abwechslungsreichen Rahmenprogramm begleitet, das Workshops, Artist Talks, einen Ausstellungsrundgang, ein Diskursformat sowie ein spezielles Programm im Rahmen des Gallery Weekend und weitere Vermittlungsangebote umfasst.

Mit den Künstler*innen Edna Al-Najar, Belia Zanna Geetha Brückner, Ece Cangüden, und Elvis Osmanović

DJ-Set von Hinna
Hinna ist eine DJane und Produzentin aus Berlin, die mit ihrem kuratierten Set für den Bärenzwinger eine Reise von sphärischen Klängen zu tanzbaren Rhythmen schafft. Sie vereint House, afro-lateinische Beats und Disco, und steigert so kontinuierlich die Energie des Abends.

ARE WE OKAY? GEGENSEITIGE SORGE FÜREINANDER

Warum sorgen wir überhaupt für andere? Die titelgebende Annahme, dass es auch mir guttut, wenn es meinen Nächsten gut geht, mag eine erste Antwort geben und wirft doch neue Fragen auf. Wie weit trägt die darin behauptete Wechselseitigkeit? Wer steht uns nahe und warum – und sollten wir davon unsere Fürsorge abhängig machen?

Die Frühlingsausstellung leitet das Jahresprogramm 2025 „HANDLE (with) CARE“ mit einem Fokus auf die Ambivalenzen und übersehenen Aspekte der Fürsorgekultur ein. Sie nimmt Praxisformen in den Blick, in denen sich die Einbeziehung von Menschen und die Ausgrenzung anderer bedingen. Dabei macht sie auch den Bärenzwinger in Geschichte und Gegenwart als Ort der Fürsorge zum Thema. Die Ausstellung ist eine Einladung, in Auseinandersetzung mit den ortsspezifischen Gegebenheiten zu erkunden, wie sich Ideen der Fürsorge für andere architektonisch, skulptural, körperlich und bildlich übersetzen. Geben diese Formen heute Halt oder engen sie vor allem ein?

RE-LEKTÜRE EINHEGENDER ARCHITEKTUREN DER FÜRSORGE

Mit seiner Vergangenheit als Tiergehege ist der Architektur des Bärenzwingers Berlin ein eigenes Verständnis von Fürsorge eingeschrieben. Vielsagend ist eine Aufschrift an der Westseite des Baudenkmals: „Unsere Bärenkinder sollen gut gedeihen.“ Die Sorge für Bär*innen wie Schnute schlug sich hier in der Architektur der 1930er-Jahre nieder, mit drei vergitterten Zellen, zwei Wassergräben und Parkblick. So pressten sich ihre Raubtierkörper in die Gehege, an die Metallstangen und durch die schmalen Luken, die in modernem Pragmatismus errichtet wurden. Sorgsam trennen hier gleich zwei Zwischentüren mit Türspion Pfleger*innen und Gepflegte. Es sind Architekturen der Fürsorge, Spuren des pflegenden Einhegens – füreinander und voreinander.

Was heute als Ausstellungsraum dient – der Lichthof, die Käfige, die Lager- und Hinterräume, wo das Futter vorbereitet wurde – war ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Besucher*innen konnten das Resultat der Fürsorge, die die Tierpfleger*innen den Bär*innen angedeihen ließen, nur von außen, über den Graben hinweg, betrachten.

HERAUSFORDERUNGEN DER FÜRSORGE IN DER KURATORISCHEN PRAXIS

Im Hinblick auf die gegenwärtige Nutzung geht es letztlich auch um die Frage, wie wir im Bärenzwinger selbst wie in unserer kuratorischen Praxis, eine behutsame, nicht bevormundende Form der Fürsorge leben können. Kuratieren kommt zwar vom lateinischen Verb curare, das so viel bedeutet wie „sorgen für, sich kümmern um“. Curator bezeichnete einst aber auch einen Vormund, Verwalter oder Aufseher und cura konnte neben einer Vielzahl weiterer Bedeutungen auch die Pflegegewalt über Unmündige meinen. Auch ohne tiefer in die verwickelte Begriffs- und Rechtsgeschichte einzutauchen, zeigt sich doch, dass dieser Ausdruck, der sich heute insbesondere auf das Ausstellen von Kunst bezieht, jenen umrissenen Doppelsinn mit sich führt.

Der Titel der Ausstellung verweist bei aller Ambivalenz darauf, dass Care nicht nur eine individuelle Aufgabe ist, sondern eine gemeinsame Verantwortung bedeutet und in einem Geflecht wechselseitiger Beziehungen stattfindet. Sie setzt zunächst die Anerkennung meines Gegenübers als fürsorgebedürftig und -würdig voraus. Im Englischen steht der Begriff „neighbour“ auch für den Nächsten im ethischen und religiösen Sinne. In Moderne und Gegenwart wurde aber die Tragfähigkeit einer Ethik der Nächstenliebe wiederholt grundsätzlich bezweifelt, prominent etwa von Theodor W. Adorno und Slavoj Žižek. So lässt sich beispielsweise fragen, ob sich Menschen überhaupt noch als Nächste begegnen, wenn die Beziehung institutionell vermittelt ist und hierdurch an Unmittelbarkeit verliert.

Belia Zanna Geetha Brückner leistet Pflegearbeit am Gebäude. Sie arbeitet in einem Raum, der eigentlich der Betrachtung verschlossen bleibt, der – wie einst das gesamte Innere des Bärenzwingers – auch heute nicht für die Besuchenden gedacht ist. Sie renoviert die Küche, die auch der Aufenthaltsraum der Exhibition Guides der Galerie Bärenzwinger ist – „care-taking“ im Hinterzimmer. Das Besondere daran ist, dass ihr künstlerischer Beitrag im Resultat verschwindet. Er wird als Solcher kaum wahrgenommen. Care-Arbeit, insbesondere die von Frauen und FLINTAS*, bleibt meist unsichtbar.

In der Küche ist ein Teil ihrer Serie Recipes for Freedom zu sehen. Dabei handelt es sich um Rezepte von Gerichten, die Gefangene nach ihrer Entlassung gemeinsam mit anderen kochen möchten. Neben der gemeinschaftsstiftenden, aber bisweilen auch ausgrenzenden Funktion von Esskulturen weitet Brückner den Blick auf die entfremdenden Prozesse unseres Straf- und Justizsystems. Zugleich soll diese Internierungspraxis als Form der Fürsorge für die Gesellschaft betrachtet und als solche hinterfragt werden. Schließlich werden auf diese Weise auch zugrundeliegende gesellschaftliche Probleme vor der Öffentlichkeit verborgen. Im Bärenzwinger zu sehen ist das Rezept der Klimaaktivistin Cressie. Sie kletterte am 20. Juli 2022 auf eine Autobahnbrücke über der britischen M25, zwei Tage nachdem im Vereinigten Königreich die höchste jemals registrierte Temperatur von 40,3 Grad Celsius gemessen wurde.

Im zentralen Lichthof des Bärenzwingers stoßen die Besuchenden auf die ortspezifische Installation Xenoshift von Ece Cangüden, die sich von der architektonischen Intensität der Gitterstäbe der ehemaligen Bärenkäfige inspirieren lässt. Bewusst verzerrte Metallstangen werden zu strukturellen Trägern organischer Formen. Die Formen lassen an ein Wesen denken, dessen Existenz zwischen zwei Polen gefangen ist, zwischen Auflösung und Rekonfiguration, sich in Bewegung befindet, ohne anzukommen. Doch auch das Organische ist hier weniger einheits- und identitätsstiftend als vielmehr eine Abstraktion, der Abdruck eines fremden, unbekannten Körpers, der sich so hier nie befunden hat. Worauf Cangüden bei allem jedoch abhebt, ist weniger das Konfrontative als vielmehr die Erfahrung, dass gerade die sich auftuenden Zwischenräume Platz für Empathie lassen.

Derart in der Mitte des Gebäudes platziert, verweisen die raumgreifenden skulpturalen Elemente auch auf den Wandel des Ortes vom Tierzwinger zum Experimentierraum für Gegenwartskunst. Die Architektur erinnert an eine von Exklusion geprägte Vergangenheit, die Neunutzung als Galerie sorgt sich hingegen in Reibung mit dieser Geschichte um die Suche nach inklusiveren Wegen. Cangüdens Arbeit wandelt die Gitterstäbe von trennenden Barrieren zu verbindenden und stützenden Elementen um, hinterfragt gleichzeitig was erhält, trägt und trennt.

In der Nahsicht zeigen sich zudem Schattierungen, Überlagerungen, Kritzeleien und das stellenweise Entfernen von Farbe. Xenoshift erforscht auf diese Weise Prozesse der Erinnerung und Transformation. Die Installation spiegelt ein fragmentiertes Zugehörigkeitsgefühl wider, bei dem die Erinnerung destabilisiert wird und jene Grenzen verschwimmen, die festlegen, wer oder was wohin gehört. Was bleibt von den fiktiven Körpern, die sich zu sehr oder nicht genug in und gegen diese Gitterstäbe pressten? Was verformt sich eher: die gesellschaftlich gewachsenen Architekturen oder die Menschen, die sich ihnen fügen müssen?

Edna Al-Najar & Elvis Osmanović stellen in ihrer gemeinsamen Videoarbeit Falling without landing zwei kontrastierende visuelle Erzählungen auf einem Splitscreen gegenüber. Auf der einen Seite werden Alltagsszenen aus europäischen Städten gezeigt. Von hinten gefilmte Passant*innen gehen durch öffentliche Orte und entziehen sich in dieser Perspektive ihrem Erkanntwerden durch die Betrachtenden. Auf der anderen Seite werden kalbende Gletscher gezeigt: Eisberge stürzen von den Eisklippen ins Meer. Innerstädtische Anonymität trifft hier auf schmelzende Wassermassen. Die Arbeit, die spezifisch für die Ausstellung produziert wurde, stellt Fragen nach Fremdheit und der Suche nach der*dem Nächsten, nach sozialer Kälte und globaler Erwärmung, beleuchtet alltägliche Situationen in der Nachbarschaft und in weiter Ferne.

Neben der Videoarbeit zeigt Edna Al-Najar vier Malereien aus ihrer für die Ausstellung produzierten Serie We barely spoke. Hier werden zwei auf den ersten Blick nicht miteinander zusammenhängende Geschichten verknüpft: die der Berliner Bären und die der Künstlerin, ihre Erfahrung, als marginalisierte Person in Deutschland aufzuwachsen. Al-Najar malt sich selbst in enger Auseinandersetzung mit dem Wappentier Berlins und behandelt dabei Gefühle der Zugehörigkeit und Entfremdung. Platziert in einer Zelle des Bärenzwingers zeigen ihre Gemälde zugleich Momente des Ausbruchs.

Elvis Osmanovićs individueller Beitrag From Sheitan 1 | Digest, eine Fotoserie die zwischen 2022 und 2024 entstanden ist, geht diesen Themenkomplex aus einem anderen Blickwinkel an. In seinen Bildern untersucht er das Verhältnis von Migration und Anonymität. Sie fangen alltägliche Momente ein, die Geschichten des Ausgeschlossenwerdens, aber auch des Zusammenseins erzählen. Aufgenommen in privaten Räumen wie in öffentlichen Orten, changieren seine Motive zwischen Nostalgie und Melancholie und verweisen, wie bei Al-Najar, auf Fragen der Herkunft und Anerkennung.

Edna Al-Najar

(* Crailsheim, Deutschland) ist eine multidisziplinäre Künstlerin, die mit Skulptur, Videoanimation, Malerei und Fotografie arbeitet. In Ihrer Arbeit erforscht sie Themen wie Widerstandsfähigkeit, Erinnerung und das Zusammenspiel von Vergangenheit und Zukunft, wobei sie sich auf die kollektive Geschichte und ihre Erfahrungen als muslimische Hijabi-Frau und Kind der Diaspora stützt.

Sie studierte Bildende Kunst an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (Abschluss im Januar 2024) bei den Professoren Heba Y. Amin, Ülkü Süngün und Reto Boller.

Al-Najar war in Einzel- oder Gruppenausstellungen u. a. im Württembergischen Kunstverein Stuttgart, auf der Kunstbiennale Venedig und in Wien auf der Muslim Contemporary zu sehen. 2024 wurde sie mit dem Shift-Stipendium des Kulturamts der Stadt Stuttgart ausgezeichnet. Zudem war sie Fellow des LABA Berlin Fellowship-Programms und in der Ausstellung Mar’a’yeh 2024 im Künstlerhaus Bethanien vertreten.

Belia Zanna Geetha Brückner

(* Mönchengladbach, Deutschland) studierte zeitbezogene Medien an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und am Goldsmiths, University of London.

Ihre recherchebasierten Arbeiten wurden unter anderem mit dem Karl H. Ditze-Preis und mit dem Max Ernst-Stipendium ausgezeichnet und in Einzel- sowie Gruppenausstellungen in Hamburg (2023), Prag (2023), London (2023) und Berlin (2024) gezeigt.

Von 2023 bis 2024 war sie Trägerin des Stipendiums der Hamburger Kulturstiftung zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses. Seit 2025 ist sie Teilnehmende des Berlin program for artists (BPA).

Ece Cangüden

(* Istanbul, Türkei) hat einen BA-Abschluss in Innenarchitektur und Umweltdesign der Wirtschaftsuniversität Istanbul.

Zu ihren ausgewählten Einzelausstellungen gehören: Feral Stations, VIABLE (Istanbul, 2024); This Could Be Us but You Playin, Porte (Leipzig, 2022); How Are We Going to Live?, Sunny Brooks Art Center (Leipzig, 2021); I love disaster and I love what comes after SUB (Çanakkale, 2018). Sie nahm an Gruppenausstellungen teil wie Mental Imagery of Things, Not Actually Present, Summart (Istanbul, 2022); Ameisen und Haufen (2021, BSMNT als Teil ihrer Residenz); Last Minutes THE POOL (Heybeliada/Istanbul 2021); Mamut Art Project (Istanbul, 2019).

Ihre Projekte wurden vom Goethe Institut und der Hrant-Dink-Stiftung unterstützt. Sie ist Mitbegründerin des kuratorischen Projekts THE POOL in Istanbul. Ece Cangüden lebt und arbeitet in Berlin.

Elvis Osmanović

(* Doboj, Bosnien und Herzegowina) lebt und arbeitet in Berlin. In seiner multidisziplinären Praxis, die Fotografie, Video und Installationen umfasst, untersucht er die Komplexität sozialer Dynamiken.

Besonders die Themen Flucht, Vertreibung und Trauma stehen im Zentrum seiner Arbeit und laden die Betrachtenden dazu ein, über die Vielschichtigkeit menschlicher Erfahrungen und Geschichte nachzudenken.

Er studiert an der Universität der Künste Berlin in der Klasse von Hito Steyerl, die derzeit von Mykola Ridnyi geleitet wird. Osmanović war wie Al-Najar Fellow des LABA Berlin Fellowship-Programms und in der Ausstellung Mar’a’yeh 2024 im Künstlerhaus Bethanien zu sehen.